Die Geschichten der Bäume
Wo alte Sorten noch jung – und die Erinnerungen noch nicht verwurzelt sind: Zu Besuch in der Baumschule Schiller.
In Wien, in der Krieau bei den Praterateliers, in der Nähe des Stadions – da stehen vier riesige Platanen mit weit auskragenden Ästen“, erzählt uns Markus Schiller. „Sie wurden zur Zeit der Wiener Weltausstellung gepflanzt, Ende des 19. Jahrhunderts – heute sind das Häuser von Bäumen! Stellen Sie sich nur vor, was für Geschichten sie erzählen könnten.“ In Schillers Worten schwingt Begeisterung – für die Natur, für Pflanzen, für Bäume. Unser Blick fällt auf ein junges Apfelbäumchen, das an einen Lieferwagen gelehnt, auf seinen Versand wartet. Oben zusammengebunden, ist sein Wurzelwerk sorgfältig in Plastik gewickelt, damit beim Transport nur ja nichts passiert. Ob es wohl irgendwann auch „ein Haus von einem Baum“ sein wird?
Wir stehen in Schillers Baumschule in Wolfau, nur wenige Kilometer vom Sterntalerhof entfernt – von hier stammen viele der wunderbaren Schattenspender am Sterntalerhof, aber auch Büsche, Sträucher und Beetpflanzen liefert Schiller immer wieder ins nahe Kitzladen. „Unsere Partnerschaft besteht seit über 20 Jahren“, erzählt der Gartenplaner „seit Peter Kai damals das erste Mal unsere Baumschule betrat.“ Dem Seelsorger und Sterntalerhof-Gründer ging es damals um etwas gutes Strauchwerk, um Struktur für die Gestaltung der Ur-Anlage des Sterntalerhofs. Heute geht es um viel mehr.
In regelmäßigen Abständen bekommt Schiller Besuch von Familien am Sterntalerhof. „Meist eine Mama und ein Papa, mit einem Geschwisterkind,“ erzählt Schiller, „immer in Begleitung einer Therapeutin.“ Sie kommen, um ein Bäumchen auszusuchen – ein Erinnerungsbäumchen, für ein verstorbenes Kind, einen Bruder, eine Schwester, manchmal auch für ein Elternteil. An einer passenden Stelle wollen sie es einsetzen, auf dass es wachse und gedeihe und zu einem großen und starken Baum werde – zu einem Ort, an dem die Erinnerung fest verwurzelt und lebendig ist, in dessen Schatten man verweilen kann, der die Zeiten überdauert und an den man immer auch zurückkehren kann. Umso wichtiger ist es, das richtige Bäumchen zu wählen. „Manche Familien vertrauen auf den keltischen Baumkreis“, sagt Schiller. „Andere wieder zieht es zu Feige oder Olive, vielleicht aufgrund ihrer biblischen Symbolik.“ Der Experte berät, wenn es gewünscht wird – die Wahl jedoch bleibt immer bei der Familie.
Wohl unter Linden?
Für welche Bäume er denn ganz allgemein Werbung machen würde, wollen wir wissen. Für den Ahorn, den erklärten Lieblingsbaum des Gärtnermeisters? „Für Bäume, die kleinklimatisch wichtig sind“, lächelt Schiller. „Und das sind heute mitunter andere Bäume, als sie es noch vor 30 Jahren waren.“ Denn mit dem Wandel des Klimas wandelt sich auch unsere Pflanzenwelt – in der Baumschule wird das spürbar. „Heimische Linden und Nussbäume gedeihen nicht mehr überall problemlos,“ sagt Schiller, „und während Fichten und Thujen unter immer trockeneren Wintern leiden – wachsen etwa im warmen Weinviertel bereits die ersten Olivenbäume.“ Die Stadt Wien setze daher heute auf die Qualitäten des Zürgelbaums. „Er ist keine heimische Pflanze – aber eine, die neuen klimatischen Bedingungen gerecht werden kann.“
Und das junge Bäumchen, das an den Lieferwagen gelehnt, auf seinen Versand wartet? „Ein Apfelbaum, eine alte Sorte.“, sagt Schiller. Wir müssen schmunzeln. Eher unwahrscheinlich, dass daraus je ein „Haus von einem Baum“ wird – eher ein Baum neben einem Haus. Vielleicht kann er dennoch eines Tages Geschichten erzählen. Halt nicht von der Krieau und den Praterateliers – aber von Bügelperlen und laminierten Zeichnungen. Von einer Mama mit zwei Kindern. Und vielleicht irgendwann – von Hasen und Hühnern.
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